VILLA HEROLD

Die Villa Herold ist ein Kulturdenkmal und Musterhaus der Baugruppe X in der Gartenvorstadt Marienbrunn in Leipzig.

1912/1913 nach einem Entwurf der Brüder A. und F. Herold erbaut, wurde es im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) 1913 der Öffentlichkeit vorgestellt.

Die Gartenvorstadt Marienbrunn und somit auch die Villa Herold, sind von städtebaulicher, baugeschichtlicher und sozialgeschichtlicher Bedeutung.

Stilistisch ist das Haus dem Reform- und Heimatstil zuzuordnen.

Das Haus befindet sich in Privatbesitz und wurde zwischen 2020 und 2024 zunächst innen denkmalgerecht saniert.

Die Außensanierung inkl. Gartenrekonstruktion startet 2024.

DIE GARTENVORSTADT LEIPZIG-MARIENBRUNN.

HERMANN MUTHESIUS

Bei dem Anwachsen der großen Städte, das im 19. Jahrhundert mit einer Intensität eingetreten ist, für die sich in der Geschichte keine Parallele findet, ist die Wohnungsherstellung unter dem verhängnisvollen Irrtum erfolgt, dass es nötig sei, die Menschen in hohen Miethäusern eng aufeinander zu drängen. In keinem Lande ist dieses Zusammendrängen mehr geübt worden und hat verhängnisvollere Formen angenommen als gerade in Deutschland.

Vielleicht ist die wissenschaftliche Methode der Deutschen, die von theoretischer Erwägung ausgeht, hierfür verantwortlich zu machen, indem nach der einmal aufgestellten Theorie gehandelt wurde, ohne je Zweifel in die Sache zu setzen. Die vor fünfzig Jahren aufgestellte Theorie besagte, dass der Boden in dicht bevölkerten Städten aufs äußerste ausgenutzt werden müsse, weshalb man notwendigerweise hoch zu bauen gezwungen sei. Sie stellte ferner den Grundsatz auf, dass man allen Möglichkeiten eines späteren Verkehrs von vornherein Rechnung tragen und deshalb durchweg sehr breite Straßen anlegen müsse. Schließlich sah sie in der Zusammengruppierung der verschiedenen Bevölkerungsklassen in den Mietskasernen die Möglichkeit für einen sozialen Ausgleich, indem angenommen wurde, dass die reicheren Vorderhausbewohner die ärmeren Hinterhausbewohner unterstützen würden (so steht zu lesen in der Denkschrift, mit welcher der Stadtbaurat Sobrecht jenen denkwürdigen Bebauungsplan von Berlin rechtfertigte, die die fünfstöckige Mietskaserne zum Ideal erhob). Die jahrzehntelange Ausübung dieser Bebauung hat die Mietskaserne in den Köpfen der heutigen Generation zur Selbstverständlichkeit werden lassen. Die äußerliche Großartigkeit, die in den breiten Straßen angeschlagen ist, hat sich sogar auf unsere Vorortbebauung ausgedehnt und erfreut sich überhaupt in einem Zeitalter der besonderen Schätzung, in welchem die Prätention, vor allem recht viel zu Scheinen, breite Bevölkerungsschichten beherrscht.

Inzwischen haben sich die Folgen der falschen Methode in nicht mehr zu verkennender Weise bemerkbar gemacht. Die großstädtische Bevölkerung geht in moralischer wie physischer Beziehung zurück, worüber jede Statistik Auskunft gibt. Säuglingssterblichkeit, Tuberkulose, Geisteskrankheiten nehmen in erschreckendem Maße zu. Die Anzahl der Militärtauglichen geht bei den Großstädtern rapide herunter. In Berlin sind 10 Prozent der schulpflichtig werdenden Kinder physisch nicht fähig, die Schule zu besuchen. Wirtschaftlich hat die baupolizeiliche Zulassung der dichten und hohen Bebauung vor allem die Wirkung gehabt, eine wilde Grundstücksspekulation anzufachen, die den Bodenwert auf schwindende Höhe getrieben hat, so dass jetzt ein wesentlicher Teil des deutschen Nationalvermögens zur Bestreitung der Wohnungsmieten dient, d.h. als Verzinsung für die hohen Grundstücksbelastungen in der Versenkung verschwindet. Die übermächtig breiten Straßen haben ferner die Notwendigkeit, möglichst tiefe Grundstücke zu scheiden und mit sich gebracht, weil die enormen Straßenkosten durch flache, also kleine Grundstücke nicht getragen werden können. Zur Abhilfe gegen Tuberkulose, Geisteskrankheiten und Kindersterblichkeit müssen die Städte jetzt große Kapitalien für Heilstätten, Asyle und Irrenhäuser anlegen. Alle diese Anstalten bekämpfen aber nur die Symptome des treffenden Übels, das vorzugsweise in den ungeeigneten Wohnungsverhältnissen zu suchen ist. So hat die Entwicklung gezeigt, dass das ganze System falsch und für die physische, moralische und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Volkes verderblich ist.

Nachdem dies heute offenbar ist, braucht die Notwendigkeit einer schleunigen Umkehr nicht mehr diskutiert zu werden. Die letzte Entwicklung im Städtebau, ausgedehnte Untersuchungen, Berechnungen und praktische Versuche haben zur Genüge gezeigt, dass die Voraussetzung, man müsse in großen Städten die Menschen in vier- oder fünfstöckigen Mietskasernen dicht beieinander und übereinander verstauen, nicht zutrifft. Man hätte übrigens, um die Falschheit dieser heute noch von den Interessenten aufgestellten Behauptung zu erkennen, gar keiner Beweisführung bedurft; ein einfacher Besuch der englischen und amerikanischen Großstädte hätte erwiesen, dass auch Millionenstädte ohne die Mietskaserne auskommen, und dass eine freie niedrige Bebauung da, wo die Ausdehnungsfähigkeit nicht durch vorhandene natürliche Schranken gehemmt ist, auch für Städte allergrößten Umfangs noch ausführbar ist. Die Umkehr ist heute nicht nur möglich, sondern man muss es so ausdrücken, dass die Fortsetzung der alten Bebauungspolitik eine Versündigung gegen den Geist der Zeit ist, ganz zu schweigen von der großen Verantwortung in national-politischer Hinsicht, von der derjenige einen Teil übernimmt, der eine als ruinös erkannte Methode weiter betreibt. Selbst die Gesetzgebung, die ja im Allgemeinen nur dem tatsächlich eingetretenen Wechsel der Ideen folgt, hat eingelenkt.

Wir stehen an der Schwelle eines Reichs-Wohnungs-Gesetzes, das sich den modernen städtebaulichen Ideen anschließen wird.

Wie kommt es nun, dass, wenn die Sachlage wirklich geklärt ist, noch si wenig von der Bebauung nach den neuen Grundsätzen zu merken ist? Die Antwort liegt darin, dass die gesamte wirtschaftliche Konstellation auf die Mietskasernenbebauung zugeschnitten ist. Das Hypothekenwesen ist im Hinblick auf die Mietskaserne organisiert, und trotz aller Versuche, einen Weg für die Beleihung des Kleinwohnungsbaus zu finden, ist praktisch so gut wie noch kein Erfolg erzielt. Die Grundstücke rings um unsere Großstädte sind unter dem Gesichtspunkt eines hohen Spekulationsertrages, der aber nur mit der üblichen hohen Bebauung zu erreichen sein würde, mit Beschlag belegt und befinden sich in festen Händen. In Berlin sieht der noch heute gültige Bebauungsplan die Bebauung einer sechsmal so großen Grundfläche, als das mit fünfstöckigen Mietskasernen bebaute Berlin jetzt einnimmt, für diese Bebauung vor. Di Ansicht, dass man den Bebauungsplan nicht mehr ändere, gleicht dem Fatalismus des Selbstmörders. Auch hier wird sich übrigens die Lösung von selbst finden, die Grundstücksspekulation wird und muss an ihrem eigenen System zugrunde gehen.

Jetzt und der Übergangszeit kommt es darauf an, dass diejenigen Organe, welche von der Grundstücksspekulation und Hypothekenverleihung unabhängig sind, tatkräftig für die neuen städtebaulichen Ideen eintreten, deren Leitsatz ist: Flachbau statt Hochbau, Einfamilienhaus mit Garten statt der Hofwohnung in der Mietskaserne, Spielplätze, Wald- und Wiesenflächen statt der Prachtstraßen und unbetretbaren Schmuckplätze. Es kommt darauf an, leuchtende Beispiele der neuen Art hinzusetzen, an denen die öffentliche Meinung nicht mehr vorübergehen kann, und die die Mietskasernen-Interessenten nicht mehr verneinen können. Ein solches Beispiel liegt in der Gartenvorstadt Marienbrunn vor. Durch ihre Förderung leistet die Stadt Leipzig Pionierdienste und wird sich einen Ehrenplatz in der Geschichte des modernen Städtebaues und der hygienischen Volksfürsorge sichern. 

VOM WOHNEN IN MARIENBRUNN.

schreibt Frau Dr. Pape, die ein Einfamilienhaus (Anm.: vermutlich die Villa Herold) am Dohnaweg bewohnt:

„Wenn wir erst in Marienbrunn wohnen!“ An diesen Zeitpunkt knüpften sich für uns seit mindestens einem halben Jahr allerlei Hoffnungen! Hoffnungen auf unmittelbaren Naturgenuss, auf Licht und Luft aus erster Hand, unbeeinträchtigt durch Staub und Ruß, Geräusch und Menschengewimmel. 

Nun sind wir seit fast acht Monaten da und im Laufe des Sommers immer mehr zu der Überzeugung gekommen, dass wir gefunden haben, was wir suchten.

Der Einzug, teils mit Dampf, teils sechsspännig – die noch nicht genügend festen Wege machten den Vorspann der Dampfwalze vor die Möbelwagen nötig – war entschieden außergewöhnlich und deshalb verheißungsvoll. Dass anfangs noch mindestens ein Dutzend Handwerker im Hause zugegen und wirksam waren, machte die Sache weiter interessant, vor allem in den Augen der Kinder, den größten Genuss von der allgemeinen Unfertigkeit hatten, auf die man als Hausfrau ja allenfalls hätte verzichten können. Man half den Malern, stand den Gärtnern im Wege und fand vor allem überall die schönsten Sachen, alte Maurerpinsel und Farbenreste, Drahtenden und Gasrohre, alles Dinge, die man sicher mal sehr gut gebrauchen konnte. Und schließlich war’s ja auch schön, das neue Heim, das enge wie das weitere, täglich fertiger und hübscher werden und endlich den letzten Handwerker – im Nachbarhause verschwinden zu sehen.

Nett ist’s geworden, bequem, geschmackvoll und wohnlich. Das elektrische Licht reizt noch heute Groß und Klein zum Knipsen. Die Zentralheizung, die bereits Gelegenheit gehabt hat, sich zu bewähren, funktionierte tadellos. Man kann nicht anders als sich wohlfühlen in dieser kleinen Gartenstadt, die von weitem wohl einen reichlich geschlossenen Eindruck macht und sich doch in der Nähe so abwechslungsreich gliedert und deren leicht gebogene Straßen alle einen Ausblick ins Freie gewähren.

Wenn irgendwo, so gewinnt man hier die innige Fühlung mit der Natur zurück, die einem im Stadtgetriebe fast verloren geht und die man doch immer wieder ersehnt. Hier hört man schon von der Haustür aus frühmorgens die Lerchen und abends die Rebhühner, sieht man, wie das Feld beackert wird und atmet man eine Luft, so rein und unverfälscht, wie man sie auf dem Lande atmen kann.

Jung Marienbrunn, seelenvergnügt und morgens aus sehr sauber, lebt wie im Paradiese hier. Anfangs besonders, in enthusiastischer Benutzung der bisher nicht gekannten Freiheit, war man den ganzen Tag draußen, baute auf dem Felde Häuser, grub im Verein mit dem vierbeinigen Wächter des Hauses Erdhöhlen und trug schließlich zwei- und vierbeinig die frischen Erdspuren der Mutter ins eben gereinigte Haus. Mit der fortschreitenden Kultur Marienbrunns wurden ja auch diese Freuden etwas zivilisierter, doch ist ausgiebige Bewegungsfreiheit in guter Luft geblieben, auch nachdem die Straßen fertig gestellt und die Gärten eingezäunt sind.

Die Gärten, ja. Sie sind der Gegenstand der Liebe und des heißen Bemühens fast aller Bewohner der Gartenvorstadt und fangen bereits an, wenn auch vorläufig in bescheidenem Maße, das Interesse zu lohnen, das man ihnen entgegenbringt. Wenn auch Bäum und Sträucher, im Frühjahr erst gepflanzt, noch etwas kümmerlich dreinschauen, so hat man doch bereits die Freuden eigener Gemüseernte kennen und schätzen gelernt, und jetzt im Schmucke des Herbstblumenflors bieten unsere Gärten noch zu guter Letzt ein Bild fast üppigen Gedeihens. Andächtig den belehrenden Vorträgen unseres Obergärtners lauschend, der dem guten Willen den rechten Weg zeigt und uns die Geheimwaffe einer rationellen Bodennutzung verrät, freuen wir uns des kommenden Sommers und des sich dann entspinnenden Wettstreites, wer das meiste Obst, die schönsten Rosen und die dicksten Kartoffeln haben wird.

Die Entfernung von der Stadt? Ist nicht so arg. Jedenfalls nicht größer als von manchem anderen Vorort. Vielleicht wird die Straßenbahnverbindung nach Connewitz hin, dessen Mietskasernen man in wohltuender Entfernung hinter Pappeln schimmern sieht, noch besser. Vielleicht auch wird die jüngst nach der anderen Seite in Aussicht gestellte Autoverbindung auch nach dieser Seite hin weitergeführt. Die weiten Schulwege? Auch das geht besser als man dachte. Der Schulweg nach Stötteritz durch die Anlagen beim Völkerschlachtdenkmal ist sehr hübsch und hat die Eigentümlichkeit, dass er hin höchstens 25 Minuten, zurück aber mindestens eine Stunde dauert. Auch die Fahrt auf der Elektrischen – die von der Mutter heimlich gefürchtete – vollzieht sich wie selbstverständlich. Man kommt sich so sicher und selbständig vor, seit man so etwas allein vollbringt, und hat einen Wolfshunger, wenn man heimkehrt.

Und wie wohltuend man immer wieder die himmlische Ruhe hier draußen empfindet, wenn man zurückkehrt aus der Stadt, deren Annehmlichkeiten man auch von hier aus genießen kann, ohne von ihren Nachteilen getroffen zu werden.

Jedenfalls fühlen wir, die ersten Einwohner von Marienbrunn, uns als Kulturpionieren die mit Humor die kleinen Unbequemlichkeiten des Anfangs ertragen und sich dadurch ein Anrecht darauf erworben haben, nun das schon in seinen Anfängen so vielversprechend war, in vollen Zügen in seiner Vollendung zu genießen.

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